• Wenn wir dran sind, können wir nur noch gewinnen

    Benjamin Leue-Jens
Die Dinge, die man hier sieht, bringen einen schon dazu, im Privaten sich über Dinge nicht so aufzuregen, die es nicht wert sind.

Als Pflegerischer Leiter der Intensivstation im Franziskus-Krankenhaus hat Benjamin Leue-Jens besonders intensive Einblicke in alles Menschliche. Ein Gespräch über Stress, tolle Kollegen, Humor – und das Leben.

Was reizt Sie an der Intensivmedizin?

Dass alles tatsächlich intensiver ist. Es geht um kritisch kranke Patienten, man hat viel mit Technik zu tun, braucht sehr viel Know-how und es bedarf viel Eigenverantwortung und Eigeninitiative. All das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, als ich in der Ausbildung zum ersten Mal auf der Intensivstation war. Es lag aber auch an den tollen Kollegen, die ich dort getroffen habe.
 

Was ist Ihnen in der Zusammenarbeit wichtig?

Wir sind ein sehr gewachsenes Team mit mehr als zwanzig Leuten und haben ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl. Klar geht es nicht ohne Diskrepanzen, aber was gar nicht geht, ist, wenn einer sein Ego auslebt. Wenn einer sich nicht einreihen kann mit seiner Art, wie er arbeitet, wie er redet, wie er wirkt. Das Schlimmste ist: gegeneinander zu arbeiten. Ich versuche deshalb, frühzeitig Konflikte anzusprechen und sie nicht einfach geschehen zu lassen. Und Humor ist wichtig. Es geht hier ja nicht alles immer um Leben und Tod, zum Glück, das wäre nicht meins.
 

Wie bleiben Sie in besonders kritischen Momenten ruhig?

Ein Kollege hat mir ganz zu Anfang meiner Tätigkeit auf der Intensivstation einmal gesagt: »Wenn wir dran sind, dann sind es nur noch wir, die was positiv gestalten können. Wir können nur noch gewinnen.« Dieses Mindset holt mich in besonders kritischen Situationen immer sofort runter. Ich weiß dann: Ich muss nichts überhasten. Ab dem Moment, in dem wir eingreifen, können wir es nur noch besser machen. Das holt einen genau die Stufe runter, um nicht in sinnlose Hektik zu verfallen.
 

Was sollte man vermeiden?

So viele Dinge sind unnütz und rauben Kraft. Deshalb ist es wichtig, wie man miteinander umgeht. Zum Beispiel, indem man das hohe Stresslevel nicht noch höher schraubt. Also: nicht unnötig laut zu sprechen, nicht zu rennen und generell im übertragenen Sinne nicht zu laut zu sein. Denn das erzeugt was, innerlich.

 

Wie gehen Sie mit belastenden Erfahrungen um?

Wir haben hier vor allem ältere Patienten, viele multimorbid, die ihr Leben gelebt haben, dieser Gedanke hilft manchmal. Wir reden viel miteinander im Team. Jeder und jede weiß, er oder sie ist damit nicht alleine. Und ich vergesse ziemlich gut. Das ist so ein schützender Aspekt, den ich einfach habe. Wenn ich das Krankenhaus verlasse, schalte ich auf Privatmensch. Mit drei Kindern und einem Haus gibt es da immer etwas, das mich fordert.
 

Wann haben Sie das Gefühl: Das war ein guter Arbeitstag?

Wenn ich jemanden den ganzen Tag versorgt habe, ihn nach acht Stunden abgeben kann und der Patient bedankt sich. Das können unsere Patienten hier ja häufig nicht, Danke zu sagen. Aber es ist ein gutes Gefühl, so ein ehrlich gemeintes Danke.
 

Was ist für Sie manchmal schwierig?

Nach 16 Jahren auf der Intensivstation beschäftige ich mich immer mehr mit der Frage: Ist das therapeutisch Mögliche der Medizin auch das Beste für den Patienten? Das ist eine Frage, die wir auch den Angehörigen stellen: Ist es das, was der Patient gewollte hätte? Wie hat er gelebt, was war ihm wichtig, würde er wollen, dass er nun so oder so ist, wenn er aus der Klinik kommt? Loszulassen ist sehr schwer.
 

Was haben Sie durch Ihre Arbeit fürs Leben gelernt?

Die Dinge, die man hier sieht, bringen einen schon dazu, im Privaten die Prioritäten so zu setzen, wie man sie haben möchte, und sich über Dinge nicht so aufzuregen, die es nicht wert sind. Man weiß, wie zerbrechlich und kurz das Leben ist und welche Schicksalsschläge es geben kann. Aber oft fällt mir das trotzdem genauso schwer wie anderen. Aber es hilft, Dinge eben wichtiger oder unwichtiger zu nehmen.

 

Benjamin Leue-Jens, 41, arbeitet seit 2008 auf der Intensivstation, erst im St. Joseph-Krankenhaus, seit 2018 hat er die Pflegerische Leitung der Intensivstation im Franziskus-Krankenhaus inne.